Kultur

Lee Krasner in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Pionierin des abstrakten Expressionismus


Combat, 1965, National Gallery of Victoria (Quelle: VG BildKunst Bonn, 2018 & The Pollock-Krasner Foun)
Lee Krasner, Springs, NY, 1972
(Quelle: The Irving Penn Foundation)
GDN - Vom 11. Oktober 2019 bis zum 12. Januar 2020 präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt eine große Retro¬spek¬tive der Künstlerin Lee Kras¬ner (1908-1984), einer der unbeirrbarsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.
Zu sehen wird Krasners Gesamtwerk sein, das ein halbes Jahrhundert umfasst: Selbstporträts aus den 1920er-Jahren, Aktdarstellungen in Kohle, Werkgruppen, wie etwa die geometrischen Little Images aus den 1940er-Jahren oder wegweisende Gemälde der Prophecy-Reihe aus den 1950er-Jahren, experimentelle, großformatige Werke der Umber- und Primary-Serie der 1960er-Jahre und späte Collagen der 1970er-Jahre.
Zielstrebig nahm Krasner bereits zu High-School-Zeiten Kunstunterricht und studierte in New York an der Cooper Union, der National Academy of Design der Hans Hofmann School of Fine Arts. Sie war aktives Mitglied der American Abstract Artists und pflegte Freundschaften zu Ray Eames, Ashile Gorky und Willem de Kooning. Im New York der 1940er-Jahre bewegte sie sich neben Künstlern wie Mark Rothko, Barnett Newman, Stuart Davis und Jackson Pollock im Zentrum der sich neu herausbildenden Kunstrichtung des abstrakten Expressionismus, auch New York Style genannt.
Mit unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen suchte diese junge Künstlergeneration nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue bildnerische Sprache durch eine spontane, abstrakte Arbeitsweise sowie die Abkehr von europäischen Bildtraditionen. Lee Krasners Kunst stand lange im Schatten ihres Ehemanns Jackson Pollock, der mit seinen Drip Paintings einer der Hauptvertreter des Action Painting ist. Beide lebten und arbeiteten ab 1945 in einem einfachen Holzhaus in Springs, Long Island. Nach Pollocks frühem Tod bei einem Autounfall 1956 entschied sich Krasner, sein Atelier in einer umgebauten Scheune zu nutzen, und leitete damit eine neue Phase ihrer künstlerischen Karriere ein.
Portrait in Green, 1969
Quelle: VG Bild-Kunst, Bonn 2018 & The Pollock-Krasner Fou
Erstmals konnte sie auf monumentalen, nicht aufgezogenen Leinwänden arbeiten. Es entstanden einige ihrer bedeutendsten Werke, die Schirn zeigt u. a. Polar Stampede (1960), Another Storm (1963) oder Portrait in Green (1969). Anders als andere Künstler dieser Zeit, die ebenfalls ungegenständlich malten, entwickelte Krasner nie einen “signature style“, sondern reflektierte ihre Praxis mit dem Anspruch, ihre Bildsprache stets neu zu erfinden.
Für die Ausstellung konnte die Schirn Leihgaben aus zahlreichen internationalen Museen, öffentlichen und privaten Sammlungen gewinnen und in Frankfurt zusammenführen, u. a. der Pollock-Krasner Foundation, dem Metropolitan Museum of Art, dem San Francisco Museum of Modern Art, der National Gallery of Washington, dem Whitney Museum of American Art, dem Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, dem Philadelphia Museum of Art und dem Jewish Museum, New York. Viele der Werke sind erstmals in Deutschland zu sehen, wie etwa das monumentale, über vier Meter lange Gemälde Combat (1965) aus der National Gallery of Victoria in Australien
Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, sagt: “Lee Krasner ist eine der wichtigsten Malerinnen der US-amerikanischen Nachkriegsmoderne und dennoch hat ihr Werk lange nicht die verdiente Aufmerksamkeit erfahren. Es erstaunt, dass unsere Ausstellung ihre erste Retrospektive in Europa nach über 50 Jahren ist. Die noch immer oft vorrangig als männlich wahrgenommene Kunst des abstrakten Expressionismus erfährt mit dieser Würdigung Krasners eine lange überfällige Neubewertung. Und für unser Publikum ist die Schau in der Schirn eine einmalige Gelegenheit die Werke der Künstlerin im Original zu erleben, denn nur wenige ihrer großformatigen Werke befinden sich in europäischen Sammlungen.“
Eleanor Nairne, Barbican Art Gallery, London und Dr. Ilka Voermann, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Kuratorinnen der Ausstellung, erläutern: “In Zyklen arbeitend griff Lee Krasner immer wieder auf frühere Serien zurück und entwickelte daraus neue künstlerische Ausdrucksformen. Mit bemerkenswerter Energie und Freiheit blieb sie ihrem eigenen Geist treu. Unsere Ausstellung zelebriert Krasners künstlerische Wandlungsfähigkeit und stellt den Facettenreichtum ihrer Kunst sowie ihren bedeutenden Beitrag zum abstrakten Expressionismus vor.“
Die Ausstellung in der Schirn gliedert sich anhand zentraler Werkgruppen Lee Krasners der 1920er- bis 1970er-Jahre. Einen Ausgangspunkt bildet das Frühwerk, an dem sich ihr Weg in die Abstraktion eindrücklich nachvollziehen lässt. Die Schirn präsentiert u. a. ihr Selbstporträt von 1928, mit dem sie sich selbstbewusst an der Aktklasse der National Academy of Design bewarb, Aktzeichnungen in Kohle aus ihrer Studienzeit, die durch den Unterricht an der Hans Hoffmann School of Fine Arts vom Kubismus geprägt sind, sowie Fotografien der Schaufenstergestaltungen für das War Services Project, in denen Krasner Fotografie, Zeichnung und Typografie im Stil des russischen Konstruktivismus verband.
Shattered Color, 1947
Quelle: VG Bild-Kunst, Bonn 2018 & The Pollock-Krasner Fou
Der Umzug von Lee Krasner und ihrem Ehemann Jackson Pollock 1945 in ein Farmhaus in Springs auf Long Island markierte den ersten von zahlreichen Wendepunkten in Krasners Werk. Mit den abstrakten Little Images, die zwischen 1946 und 1950 entstanden, wandte sie sich von ihrem durch den Kubismus und die europäische Avantgarde geprägten Frühwerk ab. Die Ausstellung zeigt aus der ersten Phase dieser Serie etwa Shattered Color (1947) oder Abstract No 2 (1947), die in ihrer All-Over-Technik an Pollocks Malweise erinnern, Krasner arbeitete jedoch viel kontrollierter und in Ölfarbe.
Die Schirn präsentiert auch spätere Bilder der Serie wie Composition (1949) oder Untitled (Little Image) (1950), die dann in einem strengen Raster aufgebaut und von rechts nach links gemalt sind - eine Arbeitsweise, die sich vermutlich von der hebräischen Schrift herleitet, die sie als Kind zu schreiben lernte. Krasner, die sich in ihrem Werk immer wieder mit Kalligrafie beschäftigte, bezeichnete diese Arbeiten selbst als “hieroglyphisch“.
Auf eigene, frühere Werke griff Krasner erstmals in ihren Collage Paintings zurück, an denen sie von 1953 bis 1956 arbeitete. Sie kombinierte in dieser Serie zerrissene Zeichnungen und ältere Gemälde und entwickelte einen geradezu malerischen Umgang mit der Collagetechnik. Die Ausstellung zeigt etwa Shattered Light (1954), in dem das unter der Collage liegende Gemälde deutlich sichtbar ist, die gerissenen Papierstücke fast nahtlos in die Malerei eingearbeitet. Die frühen Collage Paintings wie Burning Candles (1955) sind kleinteilig und in Brauntönen gehalten, während sich die späteren aus großflächigeren, buntfarbigen Formen zusammensetzten, die Krasner nicht mehr ausschließlich zerriss, sondern auch zerschnitt.
Eine stilistische und biografische Zäsur markiert das Gemälde Prophecy (1956), das Krasner zu Pollocks Lebzeiten begann und nach seinem plötzlichen Tod bei einem Autounfall vollendete. Krasner kehrt mit diesem Gemälde zu einer fast figürlichen, an den Kubismus angelehnten Bildsprache zurück. Weitere Werke dieser Serie thematisieren Tod, Geburt und Wiedergeburt. Die Schirn zeigt Birth (1956), Embrace (1956) und Three in Two (1956).
Ab 1956 nutzte Lee Krasner Pollocks ehemaliges Atelier und verwendete erstmals monumentale, nicht aufgezogene Leinwände, die sie direkt an der Wand befestigte. Es entstanden die großformatigen, gestischen Gemälde ihrer Umber-Serie, auch Night Journeys genannt. Sie gehören zu Krasners expressivsten Werken. Da sie es ablehnte bei Kunstlicht Farbe zu verwenden und zu dieser Zeit ausschließlich nachts malte, ist die Palette auf Weiß und Umbra reduziert. Die 1,60 Meter große Künstlerin bearbeitete die bis zu 2,5 Meter hohen Leinwände unter Einsatz des ganzen Körpers und mit langstieligem Pinsel in großen, rhythmischen Bewegungen. Trotz der großen Formate fertigte Krasner vor dem Malen nie Entwurfsskizzen oder Vorstudien an.
In den frühen 1960er-Jahre nutzte Krasner in ihrer Primary Series wieder starke Farben. Ihre gestischen Gemälde wurden zunehmend freier und kalligrafischer, etwa in Another Storm (1963), Kufic (1965) oder Portrait in Green (1969). In Through Blue (1963) und Icarus (1964) experimentierte Krasner mit dem Malen mit der linken Hand, nachdem sie sich den rechten Arm gebrochen hatte. Oft drückte sie die Farbe direkt auf die Leinwand und bearbeitete sie mit den Fingerspitzen. Ein weiteres wiederkehrendes Thema in ihrer Arbeit ist die Natur. Ab 1969 entstanden parallel kleinformatigere Werkserien mit Gouachefarbe auf handgeschöpftem Büttenpapier, die Krasner als Seeds, Earths, Waters und Hieroglyphes betitelte.
Palingenesis, 1971
Quelle: Pollock-Krasner Foundation/VG BildKunst, Bonn2019
Die Ausstellung schließt mit zwei Zyklen aus dem Spätwerk der Künstlerin. Anfang der 1970er-Jahre begann Krasner eine Serie, in der sie abstrakte Formen mit stark kontrastierenden Farben einsetzte. Die Schirn zeigt mit Palingenesis (1971) eines der Hauptwerke dieser Phase, deren Gemälde an die Farbfeldmalerei von Mark Rothko oder Barnett Newman erinnern, sich im Werk von Krasner aber bereits in den späten Collagen der 1950er-Jahren ankündigen.
1976 entstanden Collagen mit scharfkantigen Formen, für die Krasner eigene Zeichnungen und Aktstudien in Kohle aus der Zeit ihres Studiums an der Hans Hofmann School of Fine Arts als Material nutzte und mit der Schere zerschnitt, etwa in Imperative (1976). Wie bereits ihre frühen Collagen sind diese Arbeiten eine kritische Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem eigenen Werk und Vermächtnis.
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